Hartz IV überwinden: SPD bastelt weiter an ihrem Untergang. Nun sollen die erfolgreichen Arbeitsmarktreformen daran glauben.

Die SPD beschließt, das Hartz-IV-System hinter sich zu lassen

Arbeitsökonom Klaus F. Zimmermann, Bonn: “Die SPD hat sich selbst ein Bein gestellt, und die Grünen haben die Gnade der Geschichte, dass sie nicht in eine Regierung mussten. Die SPD konnte sich nach Schröder nicht entscheiden, erfolgreiche Regierungspartei oder linke Kultpartei zu sein. So wurden die massiven Erfolge sozialdemokratischer Minister auch unter Kanzlerin Merkel konsequent zerpflückt. Frau Nahles muss sich auch fragen lassen, warum ihre massiven Korrekturen als Arbeitsministerin an der Reformpolitik in der Partei und bei den Wählern nicht zu größerer Akzeptanz geführt haben. So hat etwa die Einführung des Mindestlohns, immerhin die zentrale Einstiegsbedingung in die letzte große Koalition, den weiteren Absturz der SPD nicht verhindert. Der Glaube muss groß sein, wenn die Versagensursachen fortgesetzt auch weiter für die Rettung eingesetzt werden sollen.”

Dieses Zitat stammt aus einem Interview, das Zimmermann bereits Anfang Dezember Dieter Hintermeier für die Frankfurter Neue Presse gegeben hat: “Die SPD hat sich selbst ein Bein gestellt.”  Text s. auch unten. Frankfurter Neue Presse vom 7. 12. 2018

Arbeitsökonom Klaus F. Zimmermann, der heute als Präsident die weltweit tätige Global Labor Organization (GLO) leitet, war über ein Jahrzehnt Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und fast zwei Dekaden (Gründungs-) Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Er ist emeritierter Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften der Universität Bonn.

Klaus F. Zimmermann

Zimmermann war Berater so unterschiedlicher Politiker wie Gerhard Schröder und Wolfgang Clement (zu Arbeitsmarktreformen), sowie Thilo Sarrazin (über die Sanierung Berlins in seiner Zeit als Berliner Finanzsenator) und Jürgen Rüttgers (über die Zukunft des Arbeitsmarktes in Nordrhein-Westfalen). Er tritt für die Fortsetzung der erfolgreichen Arbeitsmarktreformen unter Kanzler Schröder ein, hält geregelte Zuwanderung für nötig und die Flüchtlingspolitik Angela Merkels für angemessen.

Herr Zimmermann, warum gibt es, wie aktuell auch wieder, Diskussionen um die Sozialreform „Hartz IV“?

KLAUS F. ZIMMERMANN: Hartz IV ist zunächst einmal die Umsetzung der Grundgesetzgarantie, dass in Deutschland keiner unter die Armutsgrenze fallen kann. Dabei handelt es sich also zunächst einmal um den Betrag, der finanziert aus Steuermitteln jedem Anspruchsberechtigten in Deutschland zur Sicherung seines Existenzminimums zusteht. Dieser Betrag wird nach objektiven statistischen Kriterien politisch fixiert und differenziert. Er muss regelmäßig überprüft werden, was regelmäßig Diskussionen auslöst.

Was führt noch bei Hartz IV zu Debatten?

ZIMMERMANN: Ein anderes Thema ist die Problematisierung des Bezieherkreises, zu dem Langzeitarbeitslose und anerkannte Flüchtlinge gehören, sowie Kürzungen oder der Wegfall der Unterstützung, wenn andere Finanzierungsquellen vorliegen oder Strafen wegen nicht erfüllter Auflagen unter anderem bei der Jobsuche ausgesprochen werden. Diese Anreize werden häufig als ungerecht empfunden. Auch ist Hartz IV ein Symbol für den Gesamtkomplex der Arbeitsmarktreformen unter Kanzler Schröder, deren oberstes Ziel war, die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu stärken. Dieses Ziel ist klar erreicht worden, wie man an der langfristigen Entwicklung der deutschen Arbeitsmarktstatistik unschwer erkennen kann.

Macht es Sinn, wie es die SPD und die Grünen fordern, Hartz IV „abzuschaffen“?

ZIMMERMANN: Man möchte ja gar nicht die Förderung abschaffen, sondern nur den Namen und die Anforderungen, sich anzustrengen.

Ist das schlimm?

ZIMMERMANN: Dies ignoriert die Interessen der Steuerzahler, die die Mittel bereitstellen müssen, und ist auch nicht im Interesse der Betroffenen, die eine baldige Rückkehr in den Arbeitsmarkt verdienen. Da nun Anreize einmal wirken, wird ihre Abschaffung auf lange Sicht dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit der Problemgruppen wieder steigt. Wir sollten uns daran erinnern, welche hartnäckigen Schwierigkeiten wir in Deutschland über viele Jahre lang deshalb hatten.

Treibt dabei zum Beispiel die SPD die Angst, noch mehr Wähler zu verlieren?

ZIMMERMANN: Die SPD hat sich selbst ein Bein gestellt, und die Grünen haben die Gnade der Geschichte, dass sie nicht in eine Regierung mussten. Die SPD konnte sich nach Schröder nicht entscheiden, erfolgreiche Regierungspartei oder linke Kultpartei zu sein. So wurden die massiven Erfolge sozialdemokratischer Minister auch unter Kanzlerin Merkel konsequent zerpflückt. Frau Nahles muss sich auch fragen lassen, warum ihre massiven Korrekturen als Arbeitsministerin an der Reformpolitik in der Partei und bei den Wählern nicht zu größerer Akzeptanz geführt haben. So hat etwa die Einführung des Mindestlohns, immerhin die zentrale Einstiegsbedingung in die letzte große Koalition, den weiteren Absturz der SPD nicht verhindert. Der Glaube muss groß sein, wenn die Versagensursachen fortgesetzt auch weiter für die Rettung eingesetzt werden sollen.

Hat Hartz IV den Populismus in Deutschland gefördert?

ZIMMERMANN: Nein, der Populismus und der Abstieg der „alten“ Parteien ist ein ganz globales Phänomen, von dem wir in Deutschland erst relativ spät erfasst wurden. Migration, Europa, gesellschaftliche Orientierungslosigkeit und Angst vor einem sozialen Abstieg sind viel wichtigere Zugpferde des Populismus. Es fehlt an überzeugenden Visionen, die die Menschen auch emotional mitnehmen. An der sozialen Vermittlung krankte natürlich auch die Präsentation der Arbeitsmarktreformen.

Hätte sich die Politik mehr um die Verlierer des Wirtschaftsbooms kümmern müssen?

ZIMMERMANN: Es ist richtig, dass zu viel Kraft auf Scheinthemen wie den Mindestlohn verwendet wurde. Dieser hat ja den Armen-Haushalten nicht wirklich geholfen. Bei der Aufgabe, die Langzeitarbeitslosigkeit weiter wirksam abzubauen, ist man genauso gescheitert, wie bei der Nutzung der Potenziale des digitaler Zeitalters für gute Jobs.

Bleiben wir beim „Thema“. Haben Kinder- und Altersarmut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse etwas mit Hartz IV zu tun ?

ZIMMERMANN: Hartz IV ist nicht die Ursache dieser Probleme, sondern der (vielleicht unvollkommene) Versuch der Hilfe.

Die Strafen, die Hartz IV vorhält, werden immer wieder kritisiert. Sind diese zu hart?

ZIMMERMANN: Zunächst sind sie einmal wirksame Anreize zur Arbeitsaufnahme. Das ist dann im Sinne der politisch festgelegten Regelung fair. Natürlich wird es von den Betroffenen in der Regel als zu hart empfunden werden. Sie hätten aber die Strafe vermeiden können, hätten sie sich an die Auflagen gehalten.

Fällt derjenige, der arbeitslos wird, zu schnell durch Hartz IV in „die Armut“ und muss dabei noch sein ganzes Vermögen opfern?

ZIMMERMANN: Hartz IV wird ja nicht bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit bezahlt, sondern erst nach einem Jahr, wenn die Person langzeitarbeitslos ist. Das Arbeitslosengeld I wird also zunächst aus der Arbeitslosenversicherung getragen, Hartz IV oder das Arbeitslosengeld II wird aus Steuermitteln getragen. Dann kann man kaum von „zu schnell“ sprechen und man „fällt auch nicht in die Armut“, denn das wird ja geprüft.

Hartz IV sollte Armut beenden, heute ist der Begriff ein Synonym für Armut. Stimmt das?

ZIMMERMANN: Hier lügt man sich einfach in die Tasche. Hartz IV definiert ja zunächst einfach die Armutsgrenze. Insofern ist es eine Tautologie. Wem das Niveau nicht passt, muss Argumente finden, warum die Grenze verschoben werden soll. Das „System Hartz IV“ beziehungsweise die Arbeitsmarktreformen haben dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit wirksam gefallen ist. Die Bedrohung durch Armut ist tatsächlich erheblich zurückgegangen. Die ganze Welt bewundert die deutschen Erfolge, nur wir glauben, sie als Ursache für Armut brandmarken zu können.

Was ist die soziale Lösung der Zukunft: Grundsicherung oder Rückkehr zum „alten“ Arbeitslosengeld?

ZIMMERMANN: Wir haben eine vernünftige Grundstruktur der Grundsicherung. Das schließt Anpassungen im Detail nicht aus. Andere Formen der Grundsicherung sind entweder nicht finanzierbar, oder sie führen über falsche Anreize zur Mittelverschwendung.

Ends;

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