Das Nacheinander-Prinzip zur Gestaltung von Familie und Beruf: Neues Buch und ein Interview zur Zukunft der Arbeit

Zwar hat sich die Lebenserwartung der Frau in den vergangenen fünfzig Jahren um fünfzehn Jahren verlängert und sie hat sich von vielen gesellschaftlichen Fesseln befreit. Doch ist der Fluch des Fortschritts eine immer größere Belastung in ihrer Lebensmitte: “Einen Partner finden, die Familienfrage klären, beruflich und sozial engagiert sei, die Eltern pflegen, selber fit bleiben.” Zeitmagel, Überforderung, Burn-out und individuelles Scheitern können Folgen sein.  Autorin Eva Corino stellt diesen Herausforderungen in einem spannenden und anregenden Buch ihr “Nacheinander-Prinzip” entgegen.

Eins nach dem anderen, vielleicht ungewöhnlich, zumindest innovativ. Eine Abkehr vom “Multitasking”, für das Frauen oft besondere Talente nachgesagt werden. Und dessen Schwierigkeiten auch die Neurowissenschaften aufzeigen. Jedenfalls wert, konsequent hinterfragt zu werden.

Ihr neues Buch

Eva Corino: Das Nacheinander-Prinzip. Vom gelasseneren Umgang mit Familie und Beruf. Suhrkamp Verlag. Berlin 2018″ (Leseprobe)

sieht die Autorin deshalb als Anleitung zum Umdenken. Sie zerlegt dabei den “Gleichzeitigkeitswahn”, diskutiert die gesellschaftspolitischen Hintergründe und analysiert die Potentiale der Veränderung. Verbunden wird dies mit der Darstellung der vielschichtigen Realität und der Spiegelung an Experteninterviews. Ein unterhaltender und gestaltender, individueller Mutmacher mit gleichzeitiger Ansage an die gesellschaftspolitische Debatte, die Zukunft von Familie und Beruf gelassener und flexibler anzugehen.

Die Autorin, Eva Corino, ist Journalistin und Publizistin und hat bereits zwei Bücher veöffentlicht. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Erfurt.

Pressereaktion: Der Tagesspiegel

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Gibt es meinen Job in zehn Jahren überhaupt noch?

Ein Gespräch von Autorin Eva Corino mit Klaus F. Zimmermann, abgedruckt in ihrem neuen Buch.

Klaus F. Zimmermann ist Präsident der Global Labor Organization (GLO) und Co-Director von POP bei UNU-MERIT in Maastricht; Honorarprofessor der Universitäten Maastricht, FU Berlin und Renmin Beijing; Professor em. der Universität Bonn, und war u.a. auch tätig bei Macquire University, Melbourne University, Princeton University, Harvard University, Dartmouth College, Munich University, Kyoto University, University of Pennsylvania und der Universität Mannheim. Er war 11 Jahre Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und leitete als Gründungsdirektor für 18 Jahre das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.

Eva Corino: Herr Zimmermann, das Moore`sche Gesetz besagt, dass sich die Rechenleistung neuer Computerchips etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz sind atemberaubend. Was überwiegt bei ihnen, die Faszination oder die Angst, als Mensch überflüssig zu werden?

Die Faszination natürlich.

Eva Corino: Aber es gibt Prognosen, dass 42 Prozent der Beschäftigung in Deutschland mittelfristig von Automatisierung bedroht sind. Wie kommt es, dass angesichts dieser Zahlen niemand in Panik verfällt?

Ich kenne diese Prognosen. Aber ein alternatives methodisches Vorgehen liefert ein weniger dramatisches Bild. Demnach weisen nur 12 Prozent der deutschen Arbeitsplätze ein relativ hohes Automatisierungsrisiko auf.  Die Arbeit wird nicht weniger. Sie wird anders.

Eva Corino: Wieso sind Sie sich da so sicher?

So war es bisher immer in der Geschichte der Menschheit, wenn technische Erfindungen ein neues Zeitalter heraufbeschworen. Im Zuge der Industrialisierung oder beim Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. So wird es auch beim Übergang zur Informationsgesellschaft sein. Die menschliche Motivation zur Gestaltung der Welt und die Marktmechanismen sorgen dafür. Vor zwanzig Jahren wurde viel über das Buch „Vom Ende der Arbeit“ des amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin diskutiert. Aber ich habe nie an das Ende der Arbeit geglaubt. Und wenn man sich die heutige Realität in Deutschland ansieht, dann ist die sehr weit entfernt von dem, was Rifkin vorausgesagt hat.

Eva Corino: Trotzdem werden Berufe verschwinden. Welche wird es zuerst treffen?

Solche, bei denen Präzision und Routine eine große Rolle spielen. Steuerberater, Richter und Piloten sind zum Beispiel stärker bedroht als Architekten, Ärzte und Psychologen. Zukunftssichere Berufe zeichnen sich eher durch hohe Anforderungen in den Bereichen Kreativität, soziale Intelligenz und unternehmerisches Denken aus. Auch Tätigkeiten im Bereich Bildung, Erziehung und Pflege sind zukunftssicher.

Eva Corino: Im menschlichen Sektor hat man eine gute Chance?

Ja, wenn man sich auf das besinnt, was uns als Menschen ausmacht, muss man so schnell keine Angst haben, von einem Roboter ersetzt zu werden.

Eva Corino: Sie haben mal die These aufgestellt: Das Wirtschaftswachstum der Zukunft sei weiblich. Glauben Sie das immer noch?

Ja, weil die jungen Frauen heute so gut ausgebildet sind wie nie zuvor in der Geschichte. Auch stärkt die Tatsache, dass Muskelkraft in vielen Berufen an Bedeutung verliert, die relative Position der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Sprachbegabung und Sozialkompetenz werden oft als Stärken des weiblichen Geschlechts beschrieben. Auch das sind Eigenschaften, die in der digitalen Dienstleistungsgesellschaft sehr gefragt sind.

Eva Corino: Sollten Kinder programmieren lernen? Die Digitalisierungsbotschafterin Gesche Joost fordert ja zum Beispiel digitale Bildung ab der dritten Klasse. Andererseits ist die Kombination von körperlichen, seelischen, geistigen, sozialen und schöpferischen Fähigkeiten das, was Maschinen nicht so ohne weiteres erzeugen können.  

Wir brauchen beides: Selbstbewusste und motivierte Leute, die genug Grundkenntnisse von der Welt haben, Probleme lösen und die richtigen Fragen stellen können. Denn wir haben den Computer ja immer dabei und somit Zugriff auf eine gigantische Datenbank. Und das heißt, wir müssen nicht alle Details im Kopf haben. Andererseits: Wer noch nie Details beherrscht hat, der versteht auch die größeren Zusammenhänge nicht.

Eva Corino: Sie sehen die Digitalisierung erstaunlich optimistisch. . .

Nicht alles. Es herrscht hoher Anpassungsdruck, die Gefahr, vorübergehend arbeitslos zu sein. Und dass wir im Moment noch nicht wissen, wie wir das sozial besser abfedern können… Die Monopolstellung der großen Internetfirmen wie Google, Facebook und Microsoft muss beobachtet werden. Die wachsende Unsicherheit in der Frage, was mit unseren persönlichen Daten geschieht. Und die Tatsache, dass man etwa als Politiker gar nicht mehr daran vorbeikommt, bei den sozialen Netzwerken mitzumachen. All das birgt Gefahren. Ihre Mitglieder sind der Netzgemeinde potentiell ausgeliefert, können Opfer von Fehlinformationen und Kampagnen werden – und dann auf Dauer gebrandmarkt sein. Wenn man einmal falsch drin ist, kommt man kaum mehr raus – mit allen peinlichen Fakten, Bildern, und Geschichten. Deshalb sollten wir unseren Umgang damit gut reflektieren und uns darauf gefasst machen, dass unsere potentiellen Arbeitgeber sich später einmal fragen: Was kann ich über diesen Kandidaten aus dem Internet lernen?

Eva Corino: Wie verändert das Internet die Formen und Strukturen der Arbeit? Werden wir in Zukunft alle vom Küchentisch zuhause arbeiten? Oder in riesigen Großraumeinheiten?

Nicht mehr Fabriken und Büros, nicht mehr feste Arbeitszeiten und Hierarchien bestimmen die Arbeit der Zukunft, sondern Information und Wissen, vernetztes Denken und Handeln. Teamorientierte Projektarbeit ist auf dem Vormarsch, das Arbeiten von unterwegs und von zu Hause wird selbstverständlich.

Eva Corino: Wird es dadurch leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren?

Ja, die Chancen sind heute so gut wie nie zuvor. Die Digitalisierung ermöglicht Arbeitsformen, die nicht so stark von physischer Präsenz abhängen. Da kann man vieles in einen normalen Hausarbeitstag hineinbringen.

Eva Corino: Sie sagen, dass sich gerade ein neuer Typus des „Arbeitnehmerselbstständigen“ ausbildet. Was ist das?

Die atypischen Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu. Es gibt mehr Freelancer, die in Zeit-, Honorar- und Projektverträgen arbeiten.  Auch die Zahl der Selbstständigen steigt, Solopreneure und kleine Firmen, die wenige feste und viele freie Mitarbeiter beschäftigen, prägen den neuen Mittelstand. Die Grenzen zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer verschwimmen.

Eva Corino: Goldene Zeiten für Wieder- oder Quereinsteigerinnen?

Durchaus. Eine zweite und dritte Ausbildung, die Unterbrechung eines normalen Arbeitsverhältnisses durch Phasen der Familienarbeit, der Arbeitssuche, der Selbstständigkeit beziehungsweise der ehrenamtlichen Tätigkeit – solche weniger „geradlinigen“ Erwerbsbiografien werden in Zukunft immer häufiger anzutreffen sein und keinen Makel mehr darstellen. Jedenfalls wird es normaler sein, dass sowohl die Frauen als auch die Männer Brüche in ihren Erwerbsbiographien haben. Inzwischen spricht man ja nicht nur von Patchwork-Familien, sondern auch von Patchwork-Biographien.

Eva Corino: Wenn beide Eltern in der Phase der Familiengründung Vollzeit arbeiten, bleibt menschlich doch vieles auf der Strecke. Doppel-Vollzeit-1,4-Kinder, das kann nicht das einzige Modell sein für unsere Gesellschaft.

Da haben Sie sicher Recht. Aber die Frage ist, soll die Erziehung hauptsächlich in der Familie stattfinden? In Deutschland kommen die Kinder mittags nach Hause. In Frankreich sind sie tagsüber lang in der Schule. Das ist eine andere Organisation der Gesellschaft. Aber natürlich ist kein Schulsystem derart beschaffen, dass es einfach die Rolle der Eltern übernehmen könnte… Doch noch mal einen Schritt zurück: Ich bin ein Freund von Flexibilität und sanften Übergängen. Sie haben jetzt zwei Extreme einander gegenüber gestellt: Entweder man arbeitet gar nicht oder man arbeitet Vollzeit. Aber ist es nicht besser, man bleibt mit einem Fuß im Beruf?

Eva Corino: Stimmt es denn, dass man durch eine Familienphase sein Humankapital entwertet?

Man muss anerkennen, dass das Führen eines größeren Haushalts und das Aufziehen von Kindern große Leistungen sind, die auch Qualifikationen hervorbringen, die wir auf dem Arbeitsmarkt gebrauchen können… Aber es gibt leider ein Problem mit dem, was die Ökonomen „Signalling“ nennen. Wie sollen die Firmen wissen, dass ich etwas leisten kann und in der Zwischenzeit gute Sachen gemacht habe? Die brauchen nun mal Belege… und rein fachspezifisch finden in der Regel doch Humankapitalverluste statt. Sie können nicht erwarten, dass sie an genau demselben Punkt beruflich anfangen können, an dem Sie vor fünf Jahren aufgehört haben. Oder dass Sie sofort mit Frauen und Männern gleichziehen, die über fünf Jahre mehr Berufserfahrung verfügen.

Eva Corino: Aber wie kommt man nach einigen Jahren Erziehungsurlaub überhaupt in die Situation, aufholen und sich beweisen zu können?

Am meisten kann man wahrscheinlich punkten, wenn man sich in der Familienphase weiterbildet oder sogar noch mal studiert.

Eva Corino: Stimmt, Sie haben ja mal gesagt, das lebenslange Lernen sei heute die oberste Bürgerpflicht. . .  

Eine gute Ausbildung und die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln, sich neues Wissen anzueignen, neue Nischen zu suchen.

Eva Corino: Gibt es denn an den deutschen Hochschulen das Angebot dafür?

Nicht ausreichend. Wir in den Hochschulen konzentrieren uns ja am liebsten auf den Doktorandennachwuchs. Die Weiterbildung nimmt einen viel zu kleinen Raum ein. Warum eigentlich? Auch die Leute, die im Arbeitsmarkt geblieben sind, brauchen ja mal eine Auffrischung. Die amerikanischen Universitäten bieten das schon an, für viel Geld natürlich. Da gibt es inzwischen einen großen Markt für die Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen.

Eva Corino: Wie könnte man das in Deutschland strukturell umsetzen?

Man könnte erst einmal die vorhandene Infrastruktur der Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien nutzen, ein paar neue Räume und Stellen schaffen und vor allem neue Abschlüsse.

Eva Corino: Die Bevölkerung schrumpft. Zugleich sind die Menschen länger gesund und leistungsfähig. Sie haben sogar die Rente mit 70 gefordert. . .

Ja – und wurde beschimpft. Aber was ist wohl besser? Das Rentenniveau zu senken und noch mehr Lasten auf die Schultern der nachwachsenden Generation zu packen? Oder die  Mehrarbeit von Menschen in ihren Sechzigern und Siebzigern, die noch etwas beitragen wollen?

Eva Corino: Und was würde das für die Zukunft unserer Arbeit bedeuten?

Schon jetzt herrscht in vielen Branchen ein Mangel an Arbeitskräften. Der Ausfall auf der Angebotsseite kann aber teilweise ausgeglichen werden: Die Arbeit wird durch unsere technischen „Prothesen“ produktiver. Und dank des medizinischen Fortschritts können wir länger im Leben arbeiten. In jungen Jahren sind wir ungestümer, haben Lust zu experimentieren und Neues auszuprobieren. Im höheren Alter haben wir eine Menge Berufserfahrung. Vor zwanzig Jahren hat ein großer Teil der deutschen Firmen keine Arbeitnehmer über 50 mehr beschäftigt und geglaubt, dass Menschen nur bis 60 arbeiten können. Ein Jugendwahn, von dem wir längst Abschied genommen haben. Es gibt Altersforscher, die behaupten, dass man in einigen Berufen zwischen 60 und 70 die produktivste Phase seines Lebens haben kann.

(Eva Corino: Das Nacheinander-Prinzip. Vom gelassenereren Umgang mit Familie und Beruf. Suhrkamp Verlag. Berlin 2018, “Gibt es meinen Job in zehn Jahren überhaupt noch?”, Ein Gespräch mit dem Arbeitsforscher Klaus F. Zimmermann, S. 208-215. Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch den Suhrkamp-Verlag)

Literaturhinweise:

Ulf Rinne und Klaus F. Zimmermann: Die digitale Arbeitswelt von heute und morgen, Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 66. Jahrgang, 18-19, 2. Mai 2016, 3 – 9.

Klaus F. Zimmermann: Reflexionen zur Zukunft der Arbeit, Wie der demografische Wandel die Erwerbsgesellschaft verändert. H. Hinte and K. F. Zimmermann (Eds.), Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2013, pp. 14-61

“Die Feminisierung der Arbeit”, in: IZA Compact, December 2001
(Op-ed by Klaus F. Zimmermann)

Klaus F. Zimmermann between his trees.

Ends;

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